Sozialversicherungspflicht entfällt bei Ein-Personen-Unternehmen nicht automatisch
Die Gründung eines Ein-Personen-Unternehmens entbindet Pflegekräfte und weitere Berufsgruppen nicht von der eigenen Sozialversicherungspflicht. Das entschieden die Richter des Bundessozialgerichts (BSG) in drei Revisionsverfahren Ende Juli (Az.: B 12 BA 1/23 R, B 12 R 15/21 R und B 12 BA 4/22 R) und verwiesen darauf, dass die vertraglichen Vereinbarungen und deren Umsetzung in der Praxis entscheidend sind.
Der 12. Senat des Bundessozialgerichts hat in drei Revisionsverfahren deutlich gemacht, dass die konkreten Umstände einer Tätigkeit in der Praxis für eine Sozialversicherungspflicht entscheidend sind (Az.: B 12 BA 1/23 R, B 12 R 15/21 R und B 12 BA 4/22 R). So ist ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis nicht deshalb auszuschließen, weil nur Verträge zwischen dem Auftraggeber und einer Unternehmergesellschaft bzw. einer GmbH bestehen, deren alleiniger Geschäftsführer und Gesellschafter die natürliche Person ist. Vielmehr als die Vertragsgestaltung sei die tatsächliche Durchführung dessen entscheidend, so die Kasseler Richter, die mit dem Urteil die bereits bestehende Rechtsprechung bestätigten.
Krankenpfleger klagt gegen Rentenversicherung
In einem der konkreten Fälle (B 12 BA 1/23 R) ging es um einen ausgebildeten Krankenpfleger, der einer Unternehmensgesellschaft (haftungsbeschränkt) als alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer vorstand. Weitere Mitarbeiter hatte die genannte UG, die Pflegedienstleistungen erbrachte, nicht. Im Jahr 2017 einigte sich das Unternehmen mit einem Krankenhaus in Sachsen darauf, in konkreten Einsatzzeiträumen verschiedene Pflegetätigkeiten im ambulanten und stationären Bereich zu planen, durchzuführen, dokumentieren und zu überprüfen. Beide Parteien schlossen daraufhin dementsprechende „Dienstleistungsverträge“ über „die selbstständige Erbringung von Pflegedienstleistungen“ ab. Die Rentenversicherung stellte die Versicherungspflicht des Krankenpflegers, gleichzeitig alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der UG, in allen Bereichen der gesetzlichen Sozialversicherung fest. Dagegen klagte die Pflegekraft und wurde hier durch das sächsische Krankenhaus unterstützt.
Bundessozialgericht: Kläger arbeitete weisungsgebunden
Das Urteil des BSG dürfte dem Krankenpfleger nun einen herben Dämpfer verpasst haben. Die zuständigen Richter urteilten, dass der vermeintlich selbstständige Pfleger in einem sozialrechtlichen Beschäftigungsverhältnis zu dem Krankenhaus steht. Zwar argumentierte der Kläger, dass nicht er, sondern die UG die Verträge mit dem Krankenhaus geschlossen habe. Doch auf diese Argumentation ließ sich das BSG nicht ein. Entscheidend seien die geschlossenen Verträge und wie diese in der beruflichen Praxis konkret umgesetzt werden. Hier habe sich die Arbeit des Krankenpflegers nicht von der einer normal angestellten Pflegekraft unterschieden. Der Mann sei weisungsgebunden und in die Abläufe des Krankenhauses eingegliedert gewesen, zudem hatte die Gesellschaft keinen unternehmerischen Gestaltungsspielraum. Für eine selbstständige Werk- oder Dienstleistung ist das jedoch erforderlich.
BSG verweist Klage an das Landessozialgericht zurück
Die Sozialversicherungspflicht sei auch „verfassungsrechtlich unbedenklich“, urteilten die Kasseler Richter. Als weniger entscheidend für seine Entscheidung stufte das BSG die Bezeichnung der Tätigkeit und „gewünschte Rechtsfolgen“ ein. Trotz dieses klaren Urteils wurde der Fall zurück an das Landessozialgericht im sächsischen Chemnitz verwiesen, das schon zuvor eine Versicherungspflicht in allen Zweigen der Sozialversicherung festgestellt hatte. Gegen diese Entscheidung hatte der Krankenpfleger jedoch Revision eingelegt. In Chemnitz sei abschließend zu prüfen, ob der Pfleger aufgrund der Höhe seines Einkommens von der Kranken- und Pflegeversicherungspflicht befreit war. In einem weiteren Fall aus Hessen urteilten die Richter ähnlich. Zwar handelte es sich bei diesem Fall um einen Ein-Mann-Betrieb als eine Gesellschaft mit begrenzter Haftung, doch stehe auch hier nicht die Sozialversicherungspflicht infrage.
Scheinselbstständigkeit und Bußgelder? Wichtige Tipps für die Praxis
Das BSG stellte in seinen drei Urteilen (neben den beiden Fällen aus der Pflege wurde noch über den Fall eines Arbeiters mit beratender Tätigkeit verhandelt) klar heraus, dass es auf die tatsächliche Arbeitspraxis und somit die Umsetzung des jeweiligen Vertrags ankommt. Agiert ein Selbstständiger auch wie ein eigenständiger Unternehmer oder handelt es sich in der Praxis um eine abhängige und weisungsgebundene Beschäftigung? Deuten beispielsweise die Arbeitsorganisation oder die Integration in den Betrieb darauf hin, dass der vermeintlich Selbstständige eigentlich abhängig beschäftigt ist und auch so behandelt wird, könnten Sozialversicherungsbeiträge und Steuern falsch abgeführt werden. Im schlimmsten Fall kann es zu Nachzahlungen und Bußgeldern kommen. Daher sollte schon vor der Zusammenarbeit mit selbstständigen Auftragnehmern sichergestellt werden, dass diese tatsächlich eigenständig agieren.