Rufen der Polizei ist kein Kündigungsgrund

Rufen der Polizei ist kein Kündigungsgrund

Es ist für Arbeitnehmer eine verzwickte Situation. Wie soll man reagieren, wenn sich der Vorgesetzte oder der Geschäftsführer offenbar rechtswidrig Verhalten. Mit dieser Frage musste sich das Arbeitsgericht Dessau-Roßlau im Rahmen einer Kündigungsschutzklage befassen. Dort hatte ein Arbeitnehmer aufgrund eines offenbar rechtswidrigen Verhaltens die Polizei gerufen und war anschließend gekündigt worden – zu Unrecht, wie das Arbeitsgericht entschied (Arbeitsgericht Dessau-Roßlau, Urteil. V. 12.08.2020 – 1 Ca 65/20). Diese Entscheidung dürfte auf viele Sachverhalte übertragbar sein und ist daher für viele Arbeitnehmer hoch interessant.

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Zum Sachverhalt

Der etwa 31-jährige Kläger war seit Februar 2010 bei der Beklagten als Konstruktionsmechaniker/Bohrwerksdreher und bereits zuvor als Auszubildender beschäftigt.

Zur Verhinderung der Ausbreitung des Coronavirus hatte am 26.03.2020 der Landkreis Wittenberg eine Allgemeinverfügung erlassen. Diese regelte eine Quarantänezone für die gesamte Bevölkerung der Ortsteile C-Stadt und Schweinitz, welche sich innerhalb der letzten 14 Tage dort aufgehalten hatten. Ausgenommen von der häuslichen Quarantäne waren nur Berufstätige, welche innerhalb der Ortsteile C-Stadt und Schweinitz ihren Arbeitsplatz hatten. Ein Verlassen dieser Ortsteile war mit Ausnahme eines besonders genannten Personenkreises nicht zulässig.

Sowohl der Geschäftsführer der Beklagten als auch der vorgesetzte Meister des Klägers haben ihren Wohnsitz innerhalb dieser Quarantänezone. Der Betrieb befindet sich jedoch außerhalb der Quarantänezone. Weder der Geschäftsführer noch der Meister gehören zu dem Personenkreis, welcher ausnahmsweise die Quarantänezone verlassen darf.

Verstoß gegen die Quarantäne-Anordnung

Dennoch erschienen am Morgen des 27.03.2020 sowohl der Geschäftsführer als auch der Meister im Betrieb der Beklagten. Als der Kläger den Meister bemerkte, verließ dieser den Raum, um ein Telefongespräch mit der örtlichen Polizei zu führen. Dort erkundigte er sich, ob das Verlassen der Quarantänezone zulässig sei. Dieses Gespräch hatte in Teilen der Meister mitbekommen und sprach den Kläger daraufhin an. Er wollte von dem Kläger wissen, ob dieser Anzeige bei der Polizei erstattet habe. Auf diese Frage gab der Kläger zunächst keine Antwort. Wenig später suchte er jedoch den Meister in seinem Büro auf und erklärte diesem „natürlich habe ich die Bullen gerufen, ich muss mich ja schützen. Sollte ich mich infiziert haben, können Sie sich frisch machen und Herr B (der Geschäftsführer) auch.“ In dem sich daran anschließenden Streitgespräch äußerte der Meister, dass es sich seiner Ansicht nach rechtmäßig verhalten habe. Im Anschluss an das Gespräch verließ der Meister den Betrieb.

Wenig später suchte der Geschäftsführer den Beklagten an seinem Arbeitsplatz auf. Auch hierbei kam es zu einem streitigen Gespräch. Nach dem Wortgefecht setzten beide ihre Arbeit im Betrieb fort. Am 28.03.2020 führte der Geschäftsführer einen Coronatest durch, dessen Ergebnis negativ war.

Der Geschäftsführer der Beklagten erschien auch am Morgen des 30.03.2020 erneut im Betrieb. Als der Kläger dem Geschäftsführer auf dem Hof begegnete, verließ er das Betriebsgelände. Anschließend war er vom 30.03.20 – 09.04.2020 arbeitsunfähig krankgeschrieben.

Noch am Nachmittag des 30.03.2020 wendete sich der Kläger mit einer E-Mail an den Landkreis Wittenberg, in welcher er die Verletzung der Quarantänebestimmungen sowohl durch den Geschäftsführer als auch durch den Meister thematisierte und darum bat, gegebenenfalls rechtliche Schritte einzuleiten. Der Landkreis Wittenberg leitete diese Information an die Polizei weiter, welche daraufhin ein Strafverfahren einleitete.

Kurzarbeit und Kündigung

Am 09.04.2020 wurde dem Kläger mitgeteilt, dass er für die kommende Woche auf Kurzarbeit gesetzt sei und daher in dieser Zeit nicht beschäftigt werde. Durch ein Schreiben der Polizeiinspektion erfuhr der Geschäftsführer am 16.04.2020 davon, dass gegen ihn ein Ermittlungsverfahren aufgrund eines Verstoßes gegen die Quarantänebestimmungen eingeleitet wurde. Daraufhin lud er den Kläger zu einem Gespräch am nächsten Tag. Im Rahmen dieses Gespräches hielt der Geschäftsführer dem Kläger vor, sofort die Polizei informiert zu haben, anstatt sich zunächst an den Geschäftsführer zu wenden. Daher sei das Arbeitsverhältnis belastet und das Vertrauensverhältnis zum Kläger zerstört. Noch am selben Tag erhielt der Kläger die Mitteilung, dass er auf Kurzarbeit gesetzt bleibe. Mit Schreiben vom 20.04.2020 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos und hilfsweise zum nächstmöglichen Zeitpunkt.

Gegen diese Kündigung wehrte sich der Kläger erfolgreich durch eine Kündigungsschutzklage.

Die Standpunkte

Der Kläger machte geltend, dass ein Kündigungsgrund nicht vorliege. Es sei nicht zu beanstanden, dass er sich aufgrund der Verletzung der Quarantänebestimmungen umgehend an die Polizei bzw. den Landkreis Wittgenstein gewendet hatte. Er sei durch das Erscheinen des Geschäftsführers und des Meisters im Betrieb extrem verunsichert gewesen und hatte Angst davor, sich mit Corona zu infizieren. Das stillschweigende Dulden der Verletzung der Quarantänebestimmungen durch die Betroffenen sei ihm nicht zumutbar gewesen. Durch dieses gesundheitsgefährdende Verhalten seien sowohl er als auch die anderen Firmenangehörigen einer erheblichen gesundheitlichen Gefährdung ausgesetzt gewesen.

Dementgegen machte die Beklagte geltend, die fristlose Kündigung sei rechtmäßig gewesen. Das Vertrauensverhältnis der Parteien sei durch das Verhalten des Klägers zerstört worden. Der Kläger habe leichtfertig Behauptungen im Rahmen einer Strafanzeige gegenüber der Beklagten aufgestellt sowie bewusst falsche Angaben in dieser gemacht. So habe der Kläger wahrheitswidrig sowohl behauptet, beide Personen auf die fehlende Ausnahmegenehmigung angesprochen zu haben, als auch, dass der Geschäftsführer ihm gegenüber erklärt hätte, dass dieser von Ausgangsbeschränkungen nichts halte und eine Gefährdung der Mitarbeiter nach dessen Ansicht nicht vorliege. Der Kläger hätte zunächst weitere Informationen einholen und das Gespräch mit dem Geschäftsführer und seinem Vorgesetzten suchen müssen, bevor er die Polizei benachrichtige. Aus dem Umstand, dass er den Betrieb am 30.03.2020 ohne Ankündigung verlassen habe, werde deutlich, dass er kein Interesse an der Aufklärung des Sachverhaltes gehabt habe.

Zudem hätten weder der Meister noch der Geschäftsführer einen Verstoß gegen die Quarantäne Bestimmungen begangen. Beide hätten ihren Wohnbereich zur Ausübung ihrer täglichen Arbeit verlassen dürfen, was diesen auch an den jeweiligen Kontrollpunkten bestätigt worden sei. Sowohl Reichweite als auch Regelung, Inhalt und rechtliche Konsequenzen aus der Allgemeinverfügung seien den Betroffenen nicht bekannt gewesen. Zudem habe zum damaligen Zeitpunkt eine enorme rechtliche Unsicherheit geherrscht. Eine erhöhte Infektionsgefahr habe im Betrieb nicht bestanden, da die geltenden Hygieneschutzbestimmungen im Betrieb eingehalten wurden.

Die Entscheidungsgründe

Die Kündigungsschutzklage des Klägers war erfolgreich, da der gegenständliche Sachverhalt bereits nicht dazu geeignet ist, eine Kündigung zu rechtfertigen. Zwar kann grundsätzlich das erstatten einer Strafanzeige gegen den Arbeitgeber einen wichtigen Grund für eine Kündigung darstellen, entscheidend sei jedoch die Motivationslage des Arbeitnehmers und die Verhältnismäßigkeit der Anzeigenerstattung. Sowohl die fehlende Berechtigung zur Anzeige, ein fehlender innerbetrieblicher Hinweis auf die angezeigten Missstände als auch die Motivationslage des Anzeigenden können Indizien für eine Unverhältnismäßigkeit der Anzeige darstellen.

So ist ein Kündigungsgrund jedenfalls dann gegeben, wenn der Arbeitnehmer den Sachverhalt wissentlich unwahr darstellt, leichtfertig falsche Angaben macht oder die Anzeige mit Schädigungsabsicht oder aus Rache erstattet. Aufgrund der Rücksichtnahmepflicht muss der Arbeitnehmer vor der Einschaltung externer Stellen grundsätzlich zunächst versuchen, den Missstand innerbetrieblich zu bereinigen, beispielsweise durch eine Vorsprache bei seinem Vorgesetzten.

Aus der erstatteten Anzeige des Klägers lassen sich weder leichtfertige noch wissentliche Falschangaben entnehmen. Der Kläger habe lediglich mitgeteilt, dass entgegen der Quarantänebestimmungen die beiden Personen den außerhalb der Quarantänezone liegenden Betrieb aufgesucht hatten. Sowohl die telefonische Nachfrage bei der Polizei als auch die E-Mail an den Landkreis Wittenberg stellen daher keine unverhältnismäßige Reaktion des Klägers dar. Auch die Motivationslage ist nicht zu beanstanden. Dem Kläger ging es nicht darum, den Betrieb zu schaden, sondern darum, die Infektionsschutzmaßnahmen aus der Allgemeinverfügung durchzusetzen. Hierbei konnte der Kläger davon ausgehen, dass mit dem Erscheinen des Geschäftsführers und des Meisters im Betrieb ein erhebliches Infektionsrisiko verbunden sein kann.

Der Kläger war auch nicht dazu angehalten, innerbetrieblich auf die Behebung des Missstandes weiter hinzuwirken. Zum einen hatten bereits am 27.03.2020 Gespräche mit dem Meister und dem Geschäftsführer stattgefunden, zum anderen handelt es sich vorliegend nicht um einen innerbetrieblichen Missstand, sondern die Verletzung der Allgemeinverfügung. Auch der am 28.03.2020 durchgeführte negative Corona Tests des Geschäftsführers ändert hieran nichts. Dieser einmalige Test bietet kein abschließendes Ergebnis. Es sei auch nicht auszuschließen, dass sich der Geschäftsführer nach Durchführung dieses Testes infiziert haben könnte.

Weder der Anruf bei der Polizei am 27.03.20 noch die E-Mail an den Landkreis Wittgenstein vom 30.03.20 stellen daher einen Kündigungsgrund für eine außerordentliche fristlose oder eine ordentliche Frist gemäße Kündigung dar. Das Arbeitsverhältnis des Klägers wurde somit durch die Kündigung nicht beendet.

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