Sozialgericht: Können Geschäftsführer Kurzarbeitergeld beziehen?

Aktuelles Urteil: Kurzarbeitergeld für Geschäftsführer

Die Coronakrise trifft viele Unternehmen hart. Um diese Folgen etwas abzumildern, wird das Kurzarbeitergeld gewährt. Dieses soll den Unternehmen unter die Arme greifen und so viele Arbeitsplätze als möglich erhalten. Es stellt sich daher die Frage, ob auch Geschäftsführer Kurzarbeitergeld erhalten können.

Mit dieser Frage hat sich aktuell das Sozialgericht Speyer im Rahmen eines Eilverfahrens beschäftigt und eine möglicherweise wegweisende Entscheidung getroffen (Az.: S 1 AL 134/20 ER). Grundsätzlich können auch Geschäftsführer Kurzarbeitergeld beziehen, es kommt jedoch auf den Einzelfall an. Die Entscheidung wurde bisher nur in einer Pressemitteilung veröffentlicht und wurde noch nicht rechtskräftig. Die weiteren Entscheidungen müssen also abgewartet werden. Dennoch ist das Urteil des Sozialgerichts interessant für viele Unternehmen, die von erheblichen Arbeitsausfall betroffen sind.

Der Sachverhalt

Eine haftungsbeschränkte Unternehmensgesellschaft (UG), also eine sogenannte kleine GmbH, welche im Bereich des Tourismus- und Sportunternehmens tätig ist, hat im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes beantragt, Kurzarbeitergeld auch für ihren UG-Geschäftsführer gewährt zu erhalten. Das Unternehmen war im Wesentlichen im Bereich Reisen- und Schülerbeförderung tätig. Aufgrund der Auswirkungen der Coronakrise ist es in seiner wirtschaftlichen Existenz bedroht.

Die Agentur für Arbeit hat diesen Antrag abgelehnt. Der Geschäftsführer einer GmbH leite die Geschicke des Unternehmens. Daher gehört es gerade zu seinem Aufgabengebiet, neue Kunden und Geschäftsfelder zu finden und Kurzarbeit zu vermeiden. Zudem sei ein Geschäftsführer kein Arbeitnehmer und daher von den Regelungen des § 95 SGB III, welche sich auf Arbeitnehmer beschränken, nicht umfasst. So die Begründung der Ablehnung.

Die Entscheidung

Dieser Einschätzung trat das Sozialgericht Speyer in seiner Entscheidung entgegen und erlies die begehrte einstweilige Anordnung.

Es lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass das Beschäftigungsverhältnis des UG-Geschäftsführers nicht die Beitragspflicht zu den Sozialversicherungen begründen könne. Auch lägen aufgrund der Ausfälle im Bereich der Reisen und Schülerbeförderung, auf welche die UG ihren Unternehmenszweck im Wesentlichen verlegt hatte, erhebliche Einbußen vor. Es sei daher zu befürchten, dass das Arbeitsverhältnis mit dem Geschäftsführer aufgelöst werden müsse, wenn kein Kurzarbeitergeld gezahlt wird. Dadurch würde die Arbeitslosigkeit des Geschäftsführers eintreten, welche durch das Kurzarbeitergeld gerade vermieden werden solle.

Was sich aus dieser Entscheidung entnehmen lässt

Das Sozialgericht Speyer macht deutlich, dass auch Geschäftsführer grundsätzlich Kurzarbeitergeld erhalten können. Damit umfasst die Entscheidung zwei wesentliche Problembereiche.

Zunächst die Frage, ob Geschäftsführer überhaupt vom persönlichen Anwendungsbereich des § 95 SGB III umfasst sind, welcher ausdrücklich nur für „Arbeitnehmer“ gilt. Sodann stellt sich die Frage, ob ein Geschäftsführer überhaupt von einem erheblichen Arbeitsausfall betroffen sein kann, da zu seinem Beschäftigungsfeld auch die Gewinnung von Neukunden gehört.

 

Der persönliche Anwendungsbereich

Das Sozialgericht Speyer sah die Arbeitnehmereigenschaft des UG-Geschäftsführers im vorliegenden Fall als gegeben an. Dies deckt sich mit der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts.

Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass sich der Arbeitnehmerbegriff des Sozialversicherungsrechts von dem Arbeitnehmerbegriff des Arbeitsrechts, wie er im § 611a BGB definiert ist, unterscheidet.

Der Arbeitnehmerbegriff im Sozialversicherungsrecht

Im Sozialversicherungsrecht ist Arbeitnehmer, wer in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis steht. Dieses definiert § 7 Abs. 1 SGB IV als nicht-selbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Es muss demnach eine weisungspflichtige Beschäftigung vorliegen.

Durch den Wortlaut „insbesondere in einem Arbeitsverhältnis“ wird deutlich, dass eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung auch in anderen Rechtsbeziehungen wie beispielsweise im Rahmen der Tätigkeit von Orangen, vorliegen kann. Hiervon können demnach auch Geschäftsführer einer GmbH erfasst sein.

Sozialversicherungspflichte Beschäftigung bei Geschäftsführern

Entscheidend, ob eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit des Geschäftsführers einer GmbH vorliegt, ist der konkrete Einzelfall. Für die Stellung des Geschäftsführers zur GmbH ist – neben den Regelungen des GmbH-Gesetzes und des Gesellschaftsvertrages – auch der schuldrechtliche Dienstvertrag des Geschäftsführers ausschlaggebend. Nach § 37 Abs. 1 GmbHG sind Geschäftsführer gegenüber der GmbH verpflichtet, die Beschränkungen im Rahmen der Vertretung aus dem Gesellschaftsvertrag oder aus den Beschlüssen der Gesellschafter einzuhalten.

Daher ist der Geschäftsführer einer GmbH – jedenfalls grundsätzlich – nicht selbstständig tätig, sondern den entsprechenden Weisungen unterworfen. Somit liegt ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis vor. Der Geschäftsführer ist daher vom Begriff des Arbeitnehmers im Sinne des Sozialversicherungsrechts umfasst.

Ausnahme weisungsfreier Geschäftsführer

Eine Ausnahme liegt lediglich im Falle eines weisungsfrei-tätigen Geschäftsführers vor. Diese unterliegen keinen Beschränkungen gegenüber der GmbH. Eine Weisungsfreiheit ist gegeben, wenn der Geschäftsführer aufgrund seiner Rechtsmacht in der Lage ist, ihm unangenehme Weisungen zu verhindern.

Hierbei ist zwischen Gesellschafter-Geschäftsführern und Fremdgeschäftsführern zu unterscheiden. Gesellschaftergeschäftsführer sind solche, die selbst Gesellschaftsanteile an der GmbH innehaben, also auch im Rahmen einer Gesellschafterversammlung mitbestimmen können. Fremdgeschäftsführer besitzen selbst keine Gesellschaftsanteile an der GmbH.

Eine Weisungsfreiheit liegt insbesondere beim Gesellschafter-Geschäftsführer, der mindestens 50 % der Gesellschaftsanteile der GmbH hält oder über eine Sperrminorität verfügt, vor. Möglich ist dies jedoch im Einzelfall auch für Fremdgeschäftsführer, denen vertraglich im Rahmen des Gesellschaftsvertrages oder durch Beschlüsse der Gesellschafter die Stellung eines weisungsfreien Gesellschafters eingeräumt wird.

Es ist daher davon auszugehen, dass der Geschäftsführer im vorliegenden Sachverhalt kein Gesellschafter-Geschäftsführer mit mindestens einem Anteil von 50 % der Gesellschaftsanteile oder einer Sperrminorität war und auch anderweitig nicht von Weisungen befreit war. Demnach lag in diesem Fall eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung und somit auch die Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des § 95 SGB III vor.

Kann ein Geschäftsführer von erheblichen Arbeitsausfall betroffen sein?

Da es auch zum Aufgabenbereich des Geschäftsführers gehört, Neukunden zu finden, ist seine Tätigkeit unabhängig von der tatsächlichen Auftragslage im Unternehmen. Ist die Auftragslage des Unternehmens schlecht, wäre es also die Aufgabe des Geschäftsführers, seine Arbeitskraft dafür einzusetzen, neue Kunden zu finden und so die Auftragslage wieder zu verbessern und das Unternehmen aus der Krise zu führen. Daher wäre die Tätigkeit eines Geschäftsführers grundsätzlich nie von einem erheblichen Arbeitsausfall betroffen oder gar die Tätigkeit eines Geschäftsführers gänzlich von den Regelungen zum Kurzarbeitergeld ausgenommen.

Diese Einschätzung lässt sich jedoch dem § 96 SGB III, welche das Merkmal des erheblichen Arbeitsausfalls konkretisiert, nicht entnehmen. Dieser stellt gerade nicht auf eine Arbeitsleistung im Sinne des § 611a BGB ab. Demnach ist die Tätigkeit des Geschäftsführers nicht ausgenommen. Umfasst ist vielmehr die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit des Unternehmens, also auch die Tätigkeit des Geschäftsführers.

Überdies liegt in der aktuellen Problemlage auch ein besonderer Umstand. Durch die Coronakrise wurde der gesamte Tätigkeitsbereich des gegenständlichen Unternehmens, die Reise und Schülerbeförderung stark eingeschränkt, bzw. teils gänzlich unmöglich gemacht. Auch dieser Umstand kann eine Auswirkung auf die Tätigkeitsmöglichkeiten des Geschäftsführers ausmachen. Demnach kann auch die Tätigkeit eines Geschäftsführers von erheblichem Arbeitsausfall betroffen sein.

Da seine Tätigkeit jedoch nicht direkt von der aktuellen Auftragslage betroffen ist und sich insoweit auch von der Tätigkeit der übrigen Arbeitnehmer unterscheidet, dürften sich im Rahmen der Bemessung der Höhe des Kurzarbeitergeldes entsprechende Unterschiede ergeben. Aussagen hierzu lassen sich jedoch der Presseerklärung des Sozialgerichts Speyer nicht entnehmen. Es lohnt sich, dieses Verfahren im Auge zu behalten.