Bundesverfassungsgericht Urteil Zugang zu Rohmessdaten muss gewährleistet werden

Bundesverfassungsgericht – Zugang zu Rohmessdaten muss gewährleistet werden

Es ist eine fragwürdige aber regelmäßige Praxis bei den Bußgeldstellen. Der Betroffene erhält auf Antrag zwar Akteneinsicht in die Behördenakte, jedoch sind in den Akten häufig nicht alle relevanten Informationen enthalten. Das macht es für betroffene deutlich schwerer, den wahren Sachverhalt aufzuklären und sich erfolgreich gegen einen zu Unrecht ergangenen Bußgeldbescheid zu wehren.

Mit einer aktuellen Entscheidung gab das Bundesverfassungsgericht der Verfassungsbeschwerde eines Betroffenen statt und schob damit dieser Praxis nun teilweise einen Riegel vor.

Der Sachverhalt

Der Beschwerdeführer war im Rahmen einer standardisierten Verkehrsmessung außerhalb von Ortschaften mit einer Geschwindigkeitsübertreten von 30 km/h gemessen worden. Nach Erhalt des Anhörungsschreibens durch die Bußgeldstelle beantragte er Einsicht in die gesamte Verfahrensakte, die Lebensakte des Messgerätes, die Bedienungsanleitung des Herstellers, die Rohmessdaten der gegenständlichen Messung und in den Eichschein des verwendeten Messgerätes.

Bußgeldstelle verweigert teilweise Zugang zu Informationen

Zwar waren sämtliche angefragten Informationen bei der Bußgeldstelle verfügbar, jedoch wurden – wie üblich – nicht alle Daten in die Verfahrensakte aufgenommen. Der Betroffene erhielt auf seinen Antrag lediglich Einsicht in die Bußgeldakte, welche auch das Messprotokoll, das Messergebnis und den Eichschein enthielt. Außerdem wurde ihm die Bedienungsanleitung als Datei zugänglich gemacht. Die Herausgabe der weiteren angefragten Informationen verweigerte die Behörde jedoch. Diese würden nur auf gerichtliche Anordnung preisgegeben.

Die Bußgeldstelle erlies im weiteren Verlauf einen Bußgeldbescheid, gegen den der Betroffene Einspruch einlegte und sein Gesuch auf Zugang zu den von ihm begehrten Informationen wiederholte. Dieser Antrag auf gerichtliche Entscheidung wurde vom Amtsgericht mit dem Argument, der Beschwerdeführer sei nicht mehr beschwert, als unzulässig verworfen. Es würde nunmehr aufgrund des Einspruchs eine umfassende Prüfung im gerichtlichen Bußgeldverfahren erfolgen.

 

Auch Gerichte verweigern Zugang zu wesentlichen Informationen

Auch im Rahmen dieses gerichtlichen Verfahrens wurde dem Beschwerdeführer der Zugang zu den begehrten Informationen – trotz erneuter Anträge – verwehrt. Stattdessen verurteilte das Amtsgericht den Betroffenen zu einem Bußgeld und einem einmonatigen Fahrverbot.

Dies begründete das Gericht damit, dass das Gerät geeicht gewesen und durch geschultes Personal entsprechend den Vorgaben der Bedienungsanleitung genutzt worden sei. Die Richtigkeit des Ergebnisses sei daher indiziert. Es würden keine konkreten Anhaltspunkte bestehen, welche Zweifel an diesem Ergebnis begründen würden. Die Anmerkung des Gerichts, solche Anhaltspunkte seien auch vom Beschwerdeführer nicht vorgetragen worden, wirkt vor dem Hintergrund, dass ihm der Zugang zu den dafür notwendigen Informationen verwehrt worden war, zynisch.

Gegen diese Entscheidung legte der Betroffene das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde ein. Diese wurde vom OLG Bamberg verworfen. Als Argument für diese Entscheidung gab das OLG an, es gehe vorliegend allein um die Frage der gerichtlichen Aufklärungspflicht. Ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens liege daher nicht vor.

Nicht weniger zynisch als das Amtsgericht fügte auch das OLG Bamberg an, der Betroffene habe im Verfahren ausreichende prozessuale Möglichkeiten, sich aktiv an der Wahrheitsfindung zu beteiligen. Eine Beiziehung von Beweismitteln oder Unterlagen sei unter keinen rechtlichen Gesichtspunkten geboten gewesen.

Mit der gegen diese Entscheidung erhobenen Verfassungsbeschwerde rügte der Betroffene nun erfolgreich einen Verstoß gegen sein Recht auf ein fairen Verfahren aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20. Abs. 3 GG.

 

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

Zunächst stellte das Bundesverfassungsgericht heraus, dass grundsätzlich eine reduzierte Sachverhaltsaufklärungs- und Darlegungspflicht für die Gerichte in Fällen standardisierter Messverfahren nicht zu beanstanden sei.

Reduzierte Sachverhalts- und Darlegungspflicht für Fachgerichte

Demnach sei es unbedenklich, dass die Fachgerichte im Regelfall für die Feststellung eines Geschwindigkeitsverstoßes bei standardisierten Messverfahren lediglich auf die Mitteilung des Messverfahrens und der ermittelten Geschwindigkeit nach Abzug des entsprechend ebenfalls angegebenen Toleranzwertes abstellen. Soweit keine konkreten Anhaltspunkte für eventuelle Messfehler vorliegen, sei dieses Vorgehen nicht zu beanstanden.

Dies sei auch notwendig, um eine Überlastung der Rechtspflege zu vermeiden. So bestehe diese Gefahr, wenn gerade auch in Bezug auf massenhaft vorkommende Verkehrsordnungswidrigkeiten in jedem einzelnen Bußgeldverfahren anlasslos die technische Richtigkeit einer Messung individuell neu überprüft und festgestellt werden müsste.

Betroffenen muss Zugang zu Informationen möglich sein

Jedoch muss auch dem Betroffenen die Möglichkeit eröffnet bleiben, das Tatgericht auf Anhaltspunkte für Zweifel aufmerksam zu machen. Eine bloße Behauptung, die Messung sei fehlerhaft gewesen, genüge hierzu nicht. Vielmehr muss er konkrete Anhaltspunkte für technische Fehlfunktionen des Messgerätes vortragen. Dies ist jedoch nur möglich, wenn ihm auch der Zugang zu den dafür relevanten Informationen eröffnet ist. Das gilt auch für verfahrensrelevante Informationen, die nicht in die Bußgeldakte aufgenommen wurden.

Im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege bestehe dieser Zugang jedoch nicht grenzenlos. Der Betroffene müsse die begehrten Informationen in einem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Ordnungswidrigkeitenvorwurf konkret und hinreichend benennen. Auch müssen die begehrten Informationen eine Relevanz für die Verteidigung aufweisen. Dadurch werden eine uferlose Ausforschung, eine erhebliche Verfahrensverzögerung sowie eine rechtsmissbräuchliche Geltendmachung verhindert.

Entscheidend sei also, ob der Betroffene oder sein Verteidiger diese Informationen verständigerweise für die Beurteilung des Ordnungswidrigkeitenvorwurf für bedeutsam halten darf. Zudem muss der Betroffene den Zugang zu diesen Informationen frühzeitig im Ordnungswidrigkeitenverfahren begehren.

Gelingt es dem Betroffenen, aus diesen Informationen konkrete Anhaltspunkte für die Fehlerhaftigkeit des Messergebnisses nachzuweisen, hat das Gericht zu entscheiden, ob es sich ggf. unter Hinzuziehung eines Sachverständigen dennoch von der Richtigkeit der Messung überzeugen kann.

Verfassungsbeschwerde erfolgreich

Im vorliegenden Fall waren diese Kriterien erfüllt. Die vom Beschwerdeführer begehrten Informationen waren von diesem konkret und frühzeitig im Ordnungswidrigkeitenverfahren, bereits im Rahmen des Anhörungsschreibens benannt worden. Auch durfte er davon ausgehen, dass diese Informationen eine Relevanz für den gegenständlichen Ordnungswidrigkeitenvorwurf haben.

Die Fachgerichte hatten daher bereits im Ansatz verkannt, dass dem Beschwerdeführer aus dem Recht auf ein faires Verfahren ein Anspruch auf Zugang auch zu den Informationen, welche nicht in der Bußgeldakte enthalten, aber bei der Bußgeldbehörde vorhanden sind, zusteht. Nur mit einem Zugang zu diesen Informationen ist es für den Beschwerdeführer möglich, den Messvorgang eigenständig zu Überprüfen. Soweit es ihm gelingt, Anhaltspunkte für die Fehlerhaftigkeit des Messergebnisses aufzufinden, ist er damit in der Lage, die indizierte Annahme für die Richtigkeit des Messergebnisses im standardisierten Messverfahren zu erschüttern.


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