Etappenweise Betriebsstilllegung: Arbeitgeber sind in Sozialauswahl nicht frei
Wenn ein Arbeitgeber eine Betriebsstilllegung in Etappen plant, gelten spezielle Regeln für die Sozialauswahl bei betriebsbedingten Kündigungen. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf sprach dazu im Januar ein wegweisendes Urteil und stellte klar, dass „grundsätzlich die sozial schutzwürdigsten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit den Abwicklungsarbeiten zu beschäftigen“ seien (Urt. v. 09.01.24, Az.: 3 Sa 529/23).
Sind Arbeitgeber bei einer etappenweisen Betriebsstilllegung frei in der Sozialauswahl? Nein, entschied das Landesarbeitsgericht Düsseldorf und urteilte, wie zuvor schon das Arbeitsgericht Solingen (Urt. v. 13.04.23, Az.: 3 Ca 126/23), dass bei betriebsbedingten Kündigungen spezielle Regeln gelten. Im Grundsatz steht fest, dass „die sozial schutzwürdigsten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit den Abwicklungsarbeiten zu beschäftigen“ sind.
Mitarbeiter muss im Rahmen einer Betriebsstilllegung gehen – drei Monate früher als Kollegen
Im konkreten Fall hatte ein Arbeitnehmer eines mittlerweile insolventen Produktionsunternehmens von Aluminiumteilen mit knapp 600 Mitarbeitern Kündigungsschutzklage erhoben. Dem Kläger war mit Schreiben vom 16.12.22 zum 31.03.2023 gekündigt worden, während vierzig andere Angestellte des Betriebs ihre Kündigungen erst zum 30.06.2023 erhielten. Die betroffenen Angestellten waren alle Teil des 53 Mitarbeiter starken Abwicklungsteams, das über den 1.1.23 hinaus tätig war, als alle anderen Beschäftigten „unwiderruflich freigestellt“ wurden. Die Einstellung der Geschäftstätigkeit des Unternehmens war zum 31.12.2022 erfolgt, vorausgegangen war dem die Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung über das Vermögen des Arbeitgebers am 1. März 2022.
LAG: Arbeitgeber haben „keine freie Auswahl, wem er früher oder später kündigt“
Das Abwicklungsteam war über das Jahresende hinaus vor das Produktionsunternehmen tätig. 13 Mitarbeiter erhielten ihre Kündigung zum 31.03.23, 40 Angestellte zum 30.06.23. Einer der 13 betroffenen früher Gekündigten erhob Kündigungsschutzklage. Der Fall landete zuerst vor dem Arbeitsgericht Solingen, wo dem Mann Recht zugesprochen wurde. Das LAG Düsseldorf bestätigte die Entscheidung im Januar 2024. Die Kündigung sei aufgrund einer fehlenden Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG nicht rechtswirksam. Im Grundsatz gelte, dass „die sozial schutzwürdigsten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit den Abwicklungsarbeiten zu beschäftigen“ seien. Der Arbeitgeber habe nicht die Freiheit zu entscheiden, „wem er früher oder später kündige“.
Auswahl muss nach den anfallenden Tätigkeiten erfolgen
Dementsprechend sei die Sozialauswahl im vorliegenden Fall „methodisch fehlerhaft durchgeführt“ worden, urteilten die Richter in Nordrhein-Westfalen und verwies auf die fehlerhafte Bildung der Vergleichsgruppen durch den Arbeitgeber. Das Unternehmen hatte diese anhand der ursprünglich ausgeübten Tätigkeiten ausgerichtet, dabei hätte die Auswahl nach Ansicht der Richter „anhand der noch im Abwicklungsteam anfallenden Tätigkeiten“ vorgenommen werden müssen. Die Beklagte habe dazu jedoch nur unvollständig vorgetragen und darüber hinaus überhaupt nicht dazu, welche Aufgaben im Abwicklungsteam anfielen und welche Anforderungsprofile dafür notwendig waren. So konnte die Beklagte die Vermutung der fehlerhaften Sozialauswahl nicht widerlegen. Eine Revision zum Bundesarbeitsgericht wurde nicht zugelassen.
Arbeitgeber müssen sorgfältige Sozialauswahl durchführen
Für Unternehmen setzt das Urteil aus Düsseldorf einen klaren Rahmen für eine korrekt durchgeführte Sozialauswahl bei betriebsbedingten Kündigungen. Unerlässlich ist eine sorgfältige Sozialauswahl, die darüber hinaus dokumentiert werden sollte. Erfolgt keine ordentliche Sozialauswahl, kann es zu Rechtsstreitigkeiten kommen, die dem Arbeitgeber zu einem späteren Zeitpunkt schmerzvoll auf die Füße fallen können.