Videoaufzeichnungen können für Kündigung herangezogen werden
Dürfen Betriebe auf Videoaufnahmen zurückgreifen, um einen Arbeitszeitbetrug zu beweisen? Das ist unter gewissen Umständen möglich, entschied das Bundesarbeitsgericht in einem viel beachteten Urteil (Urt. v. 29. Juni 2023, Az. 2 AZR 296/22). Da die Aufnahmen im vorliegenden Fall einen Arbeitszeitbetrug dokumentierten, greife kein Verwertungsverbot.
Für einen seit 1995 in einem großen metallverarbeitenden Betrieb tätigen Teamleiter hagelte es im Oktober 2019 die fristlose und hilfsweise fristgemäße Kündigung. Der einfache Grund: Der Mitarbeiter soll im Juni 2018 einen Arbeitszeitbetrug begangen haben. Zwar erschien der Angestellte vor der Nachtschicht auf dem Werksgelände, doch verließ dieses noch vor Schichtbeginn wieder. Zudem sei der Teamleiter an zwei Arbeitstagen im Oktober 2018 21 bzw. 15 Minuten vor Schichtende eigenmächtig vom Werksgelände gegangen. Der Arbeitgeber gewährte dem Mitarbeiter die Möglichkeit zur Stellungnahme und hörte den Betriebsrat an – im Anschluss daran beendete der Betrieb das Arbeitsverhältnis.
Arbeitsgericht gibt Kündigungsschutzklage statt
Als Beweismittel hatte der Betrieb Videoaufnahmen an einer offen am Tor angebrachten Kamera vorgebracht. Der Arbeitnehmer erhob nach seiner Entlassung Kündigungsschutzklage. Sein Hauptargument dabei war, dass die Aufnahmen der Kamera einem Sachvortrags- und Beweisverwertungsverbot unterfallen. Das Arbeitsgericht Hannover gab der Klage statt, begründet dies aber mit einer angeblich nicht ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats. Der Arbeitgeber habe seine Vorwürfe im Prozess auf eine andere Sachverhaltsdarstellung gestützt als während der Betriebsratsanhörung, so die Hannoveraner Richter.
Landesarbeitsgericht: Arbeitgeber darf Videomaterial nicht als Beweis nutzen
Auch eine Instanz darüber kam das Landesarbeitsgericht zum gleichen Urteil, wenn auch mit anderer Begründung (Urt. v. 06.07.2022, 8 Sa 1149/20). Zum einen sei es dem Betrieb wegen einer bestehenden Betriebsvereinbarung verwehrt, die Anwesenheitsdaten aus der elektronischen Anwesenheitserfassung in das Verfahren einzuführen. Zum anderen dürfe sich der Arbeitgeber nicht auf die Videoaufzeichnungen an den Werktoren berufen. Ein Hinweistext habe darauf hingewiesen, dass die Videoaufnahmen nur 96 Stunden gespeichert werden. Der Arbeitgeber hatte jedoch zu einem viel späteren Zeitpunkt begonnen, die Aufzeichnungen auszuwerten.
Bundesarbeitsgericht entscheidet für den Arbeitgeber
Das Bundesarbeitsgericht kippte diese Entscheidungen nun und entschied für das beklagte Unternehmen. Es greife in diesem Fall kein Verwertungsverbot, da die Videoaufzeichnungen einen vorsätzlichen Arbeitszeitbetrug dokumentieren. Auch dass die Kameraüberwachung gegen das Datenschutzrecht verstoßen haben könnte, ändere daran nichts. Nur falls eine Überwachungsmaßnahme eine schwerwiegende Grundrechtsverletzung darstelle, sei ein Verwertungsverbot aufgrund der Generalprävention denkbar. Im Fall des Teamleiters liege jedoch keine schwerwiegende Grundrechtsverletzung vor. Ebenso sei es in Fällen wie diesem unerheblich, wie lange der Arbeitgeber mit der Sichtung des Videomaterials gewartet habe und über welchen Zeitraum das Material vorgehalten wurde.
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Falls Sie das Gefühl haben, sich nicht mehr auf Ihre Mitarbeiter verlassen zu können und Sie beabsichtigen, über Videoaufnahmen Beweismaterial einzuholen, sollten Sie sich unbedingt anwaltlichen Rat einholen. Wie der vorliegende Fall gezeigt hat, lauern viele Fallstricke in einer solchen Maßnahme. Während offene Überwachungsmaßnahme zum präventiven Schutz des Eigentums bzw. zur Leistungskontrolle unter Umständen zulässig sein kein, sind geheime und verdeckte Überwachungsmaßnahmen laut Bundesarbeitsgericht nur bei konkretem Anfangsverdacht und als letztes Mittel eventuell möglich. Seien Sie auf der sicheren Seite und holen sich professionellen juristischen Rat, bevor teure Prozesskosten Ihr Firmenkonto belasten. Haas und Kollegen sind Ihre kompetenten Partner in Sachen Arbeitsrecht.